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Die jüdische Gemeinde
bis 1933

Der Neubau der Synagoge in der Universitätsstraße 1897

Für das Jahr 1317 sind erstmals in Marburg Häuser von Juden und eine Synagoge belegt, an der Judengasse oberhalb des Marktes. Als Synagoge wurde hier ein älteres Haus genutzt, in dem um 1280 ein Raum überwölbt wurde, der einen Schlussstein mit dem Davidstern erhielt.

Bei dem großen Stadtbrand von 1319 wurde diese Synagoge vernichtet, aber wieder aufgebaut. Die Siedlung von Juden ging jedoch während der Pestzeiten und Pogrome des 14. Jahrhunderts unter; die Reste ihrer Synagoge verwendete 1452 die Stadt für den Bau einer Mauer.

1536 wurden wieder zwei Juden in der Stadt zugelassen. Erst nach dem 30-jährigen Krieg ließen sich Juden auf Dauer in der Stadt nieder; ihre Synagoge befand sich bis 1720 gegenüber der mittelalterlichen Synagoge im Obergeschoss eines jüdischen Wohnhauses. 1744 sind nur 6 jüdische Familien registriert, die einen Betraum in der Langgasse hatten, wiederum im Obergeschoss eines jüdischen Wohnhauses. Weil dieser Raum bald unzumutbar eng wurde, kaufte die Gemeinde 1818 ein Haus in der Ritterstraße und richtete dort ihre Synagoge ein.

Mit der Annexion Hessens durch Preußen 1866 blühte nicht nur die Stadt insgesamt auf, sondern auch die jüdische Gemeinde. Zahlreiche jüdische Kaufleute und Bankiers ließen sich in Marburg nieder, die Stadt wurde Sitz des Provinzialrabbinats. Trotz der Agitation des Marburgers Otto Böckel, der 1887 als erster antisemitischer Abgeordneter in den Reichstag einzog, wuchs die Gemeinde weiter. 1888 bestand sie aus 298 Personen. In der Synagoge gab es aber nur 89 Männerplätze und 64 Frauenplätze, sodass ein Neubau erforderlich wurde. Nach längerer Suche nach einem Baugrundstück konnte die Gemeinde 1892 einen Platz an der Universitätsstraße erwerben, der zwischen dem entstehenden Neubaugebiet in der Südstadt und der Altstadt lag. Die Planung für den Neubau wurde dem Marburger Architekten Wilhelm Spahr übertragen. Er sah ein zweigeschossiges, symmetrisch gegliedertes Gebäude parallel zur Straße vor. Sein zentraler Teil von 16×16 m Größe enthielt den Versammlungsraum, der durch eine größere Höhe und eine Kuppel betont wurde; er bot im Erdgeschoss Platz für 230 Männer und auf der Empore Platz für 175 Frauen. Nach Westen waren ein Bauteil für den Haupteingang, darüber die Schulräume, und nach Osten ein Bauteil für die Estrade mit dem Tora-Schrein vorgelegt. Im Untergeschoss waren die Wohnung des Synagogen-Dieners und die Mikwe untergebracht. Die Fronten wurden in rotem Sandstein ausgeführt, mit zwei Bändern aus hellem Sandstein; die achteckige Kuppel war mit gelbglasierten Biberschwanz-Ziegeln gedeckt, auf der Spitze ein Davidstern. Bei der Gestaltung der Fassaden griff der Architekt auf die späte rheinische Romanik zurück, insbesondere bei den Rundbogenfriesen und Rosetten, sah aber auch einige maurische Elemente vor, z.B. Zackenbögen und hufeisenförmige Öffnungen. Die Architektur der Marburger Synagoge schloss somit an den damals für Sakralbauten verbreiteten “deutschen Nationalstil” an, ohne auf einen Bezug zur fruchtbaren Kulturgeschichte des Judentums in Spanien zu verzichten; eine Kuppel hatte kein einziges Gotteshaus in Marburg. Die Synagoge war ein Zeichen für die wirtschaftliche Kraft der Gemeinde und für ihr Selbstverständnis in einem christlich geprägten Umfeld. 1897 wurde sie unter Beteiligung einer großen Öffentlichkeit eingeweiht.

Die jüdische Gemeinde wuchs 1905 auf 512 Personen an. 1901 wurde ein Schüler- und Lehrlingsheim in der Schulstraße eingeweiht. Es gab an der Universität eine jüdische Korporation, in der Stadt eine jüdische Mensa und ein jüdisches Hotel, in dem sogar Roland Freisler, der später Vorsitzende des Volksgerichtshofes, einkehrte. An der Universität lehrten einige jüdische Professoren, doch die Hoffnungen auf ein Verschwinden des Antisemitismus trogen; die Universität blieb ein Hort der Reaktion. Bald aber zogen viele Gemeindemitglieder fort, vor allem nach Frankfurt; die Gemeinde verarmte, sodass 1922 aus dem Synagogenbau noch etwa 40% zu bezahlen waren.

Elmar Brohl

Entwurf für den Neubau

Zeitgenössische Postkarten aus
privater Sammlung